#webtypobuch

Schriftwahl konkret: Was nimmt man?

Es ist die häufigste Frage, die einem von ambitionierten Hobbygestaltern gestellt wird, und selbstverständlich gibt es darauf keine gute Antwort: „Welche Schrift nimmt man denn jetzt so?“ Auch gerne in der Variation: „Und was ist jetzt die beste Schrift?“

Dutzende von Büchern und hunderte von Fachartikeln beschäftigen sich mit der Frage nach einer sinnvollen, passenden, provokativen oder aufregenden Schriftwahl für das nächste Kundenprojekt. Und die ganz Mutigen belassen es nicht bei einer einzelnen Schrift, sondern wagen sich an eine Schriftmischung heran, was eine Menge zusätzlicher Aspekte aufwirft.

Am Anfang jeder Entscheidung stehen jedoch stets eine ganze Reihe von Fragen, die Sie für sich und Ihr Projekt beantworten sollten:

Ich will nicht behaupten, dass man mit der Wahl einer Schriftart alle diese Fragen zufriedenstellend beantworten kann. Aber man sollte im Hinterkopf behalten, wer am Ende die Texte lesen soll, und welchen Beigeschmack wir den Inhalten hinzufügen, um die Sache stimmig zu machen. Oder gerade nicht stimmig! Denn auch eine provokante oder abwegige Schriftwahl kann ihre Berechtigung haben; nur so entstehen typografische Trends. Man denke beispielsweise an fette gebrochene Schriften, die erst im Heavy Metal (Motörhead) und später im amerikanischen Hip-Hop groß in Mode waren. Heute kommt es einem alltäglich vor, doch anfangs war dies ein krasser Stilbruch und ein mutiger Trend.

Bei den allermeisten Angeboten im Web geht es jedoch um Übersichtlichkeit und schnelle Information. Eine allzu experimentelle Schriftwahl schadet hier meist. Sollten Sie aber die Chance haben, einen Entwurf im künstlerisch-kulturellen oder gar popkulturellen Umfeld platzieren zu können, nutzen Sie es als Spielwiese für typografische Experimente. Nur wer wagt, gewinnt!

Abgesehen davon möchte ich im Folgenden eine kleine Liste von Schriftarten besprechen, die es entweder bereits zu modernen Klassikern der Webtypografie geschafft haben, oder aber besonders sorgfältig für den Bildschirmeinsatz optimiert wurden. Sie werden mit diesen Fonts sicher keine Originalitätspreise gewinnen, aber bedienen dafür zielgenau den Trend der frühen Zehnerjahre.

Museo

#webtypobuch

Jos Buivenga ist sicher einer der wichtigsten Schriftentwerfer der letzten zehn Jahre, der sich und sein kleines Unternehmen exljbris mit extrem geschickter Platzierung von kostenlosen Schriftschnitten bekannt gemacht hat. Auch die Museo gibt es in Teilen kostenlos zum Download. Sie besteht insgesamt aus vier Familien: Museo, Museo Sans, Museo Sans Rounded und Museo Slab. Wer die hohe Museo-Dichte auf stylischen Websites der Post-Web-2.0-Ära nicht mitbekommen hat, muss im Grunde unter einem Stein gelebt haben. Sie wirkt aber immer noch frisch, elegant, modern und sieht vor allem in riesigen Schriftgraden (ab 30 Pixel aufwärts) gut aus.

Adelle

#webtypobuch

Wer hätte gedacht, dass eine serifenbetonte Schrift (auch Egyptienne genannt) noch einmal so gut ankommen würde? Wenn man sich die eher biederen Genre-Standards Rockwell oder Serifa ansieht, bekommt man nicht gerade Lust, mit so einer Schrift ins 21. Jahrhundert zu starten. Doch die Adelle versucht sich – ähnlich wie die Caecilia – eher an einer Neuinterpretation des Themas „serifenbetont“: Ihre stabilen, aber offenen Formen machen großen Spaß, und insbesondere die ultradünne Variante zaubert schicke Überschriften ins Layout. Nicht umsonst hat sich die praegnanz.de GbR im Frühjahr entschieden, die Adelle für Logoschriftzug und Headlines einzusetzen. Wir werden nicht die Einzigen bleiben!

Alternate Gothic No. 3 D

#webtypobuch

Eigentlich keine echte Einzelschriftempfehlung, sondern ein Stilmittel, welches mir immer wieder auffällt: sehr schmale, aber fette serifenlose Versalien in riesigen Schriftgraden. Oftmals in der Alternate Gothic gesetzt, aber bisweilen auch in der League Gothic oder der DIN Engschrift, was beinahe aufs Gleiche rauskommt. Höchstwahrscheinlich handelt es sich hierbei um eine gewisse Trotzreaktion gegen die jahrzehntelange Limitierung auf langweilige websichere Schriften. So eine großzügige grafische Anmutung war damit nämlich beim besten Willen nicht möglich. Und ganz ehrlich: Mir gefällt die klare visuelle Aussage und die Prägnanz der kompakten Buchstabenblöcke recht gut. Es könnte allerdings sein, dass sich dieses Stilmittel relativ flott verbraucht und zum Standard wird. Dann sollte man am besten flott damit aufhören, um nicht zum Klischee zu mutieren.

FF Meta

#webtypobuch

Die maßgebliche Schrift der Neunziger erlebt nach einer kurzen Überdrussphase zur Jahrhundertwende seit geraumer Zeit eine Renaissance im Web. Nicht nur die Firefox-Macher der Mozilla Foundation vertrauen auf die bewährte Formgebung der Meta, auch zahlreiche Webfont-betriebene Relaunches der letzten Jahre beweisen, dass sich die gesamte Sippe der von Erik Spiekermann gestalteten Schrift auf dem Bildschirm außerordentlich gut macht. Besonders hervorheben möchte ich hierbei die FF Meta Serif, welche erst 2007 erschien, also 22 Jahre nach der ursprünglichen serifenlosen Variante. Sie ist eine wirklich tolle Alternative zu Georgia, Times und Co. – definitiv auch in Fließtextgrößen!

Proxima Nova

#webtypobuch

Ursprünglich bereits 1994 als Proxima Sans erschienen, wurde die Proxima Nova aus dem Hause Mark Simonson im Jahr 2005 komplett überarbeitet und neu herausgegeben. Seit der Webfont-Revolution ist sie interessanterweise vor allem in reinen Versalien ziemlich häufig zu sehen; insbesondere auf amerikanischen Websites. Das könnte damit zu tun haben, dass sie gerne als Gotham-Ersatz verwendet wird, da jene Schrift von Hoefler & Frere-Jones noch nicht als Webfont zur Verfügung steht. Gotham-Versalien wurden hingegen – jeder weiß es – für den Obama-Wahlkampf 2008 und 2012 eingesetzt. Hier schließt sich dann der Kreis. Aber auch in gemischter Schreibweise macht die Proxima übrigens eine gute Figur, wenn sie auch nicht gerade vor Charakter überschäumt.

Azuro

#webtypobuch

Die Azuro des deutschen Schriftentwerfers und Software-Entwicklers Georg Seifert ist ein zweischneidiges Schwert. Sie wurde speziell für optimale Leserlichkeit auf modernen Bildschirmen entwickelt und kam erst vor gut einem Jahr (Frühjahr 2011) auf den Markt. Die Leserlichkeit basiert unter anderem auf der guten Unterscheidbarkeit der einzelnen Buchstabenformen, was die Schrift lebendig, würzig und kernig macht. Nicht alle jedoch mögen dieses Schriftbild der Azuro, sie wird bisweilen als zu unruhig bezeichnet, und die Satzzeichen sowie i- und Umlaut-Punkte als zu groß kritisiert.

Nun, wie man’s nimmt! Niemand hat behauptet, dass eine gut lesbare Schrift gleichzeitig schön zu sein hat; es sind ja oft die eher rauen Ecken und Kanten, welche dem Auge Halt geben. Ich schlage vor, Sie geben der Azuro eine Chance, sich zu beweisen: Auf www.fontblog.de finden sich viele interessante Fachartikel, und nicht ganz zufällig33 sind diese allesamt in der Azuro 15px gesetzt.

Microsofts Cleartype-Schriften

#webtypobuch

Mit dem Erscheinen von Windows Vista im Jahr 2007 brachte Microsoft so etwas wie die nächste neue Generation von Core Fonts auf den Markt: Sechs brandneue Schriften, zum Teil von namhaften Typografen entworfen, und ein Frutiger-Klon namens Segoe UI sollten das typografische Handwerkszeug für Millionen von PC-Nutzern erweitern. Der Clou: Alle Fonts wurden speziell für die Cleartype-Schriftglättung und moderne LCDs optimiert und wirken unter Windows knackscharf, robust und souverän.

Auch gestalterisch ist für jeden Anwendungsfall etwas geboten: Calibri als die neue – im Vergleich zu Arial wärmere – Allerweltsschrift. Corbel für die etwas maskulinere Note. Constantia für historisch angehauchte Sujets. Cambria als moderne und platzsparende Serifenschrift. Candara für organisch-naturnahe Setzkost. Und nicht zuletzt Consolas als exzellente Monospace-Schrift für Programmcode.

Leider haben die Vista-Schriften den Sprung auf das seit damals immer populärer werdende OS X und die prosperierenden Mobilplattformen iOS und Android nie geschafft. Obwohl die Fonts auch mit der Mac-Schriftglättung Quartz recht ordentlich aussehen (wenn auch einen Hauch zu fett), so wurden sie dort eben ausschließlich mit Microsoft Office mitgeliefert, welches bei weitem nicht jeder Mac-User zu Kaufen bereit ist. Somit bleibt die Einbindung von Calibri und Co. über einen Webfont-Service, was ich dem geneigten Leser hiermit aber durchaus als empfehlenswerte Möglichkeit ans Herz legen möchte.

  1. Die FontShop AG, Betreiberin des Fontblogs, ist gleichzeitig Sponsorin dieses Buches und Herausgeberin der Azuro. Deswegen fälle ich an dieser Stelle kein finales Urteil über diese Schrift. Entscheiden Sie selbst!