#webtypobuch

Zeilenabstand (ZAB)

Der Zeilenabstand bedarf noch einmal einer genaueren Betrachtung, da er für die Leserlichkeit von Texten eine so elementare Rolle spielt. Grundsätzlich bezeichnet man als Zeilenabstand die vertikale Entfernung der Grundlinie einer Textzeile zur Grundlinie der nächsten Textzeile.13

Wer es sich ganz leicht machen möchte, wählt als Zeilenabstand einfach immer 1,5 und kann sich wieder schlafen legen. Wer es differenzierter angehen möchte, kann eine ganze Reihe von Aspekten beachten, die zur Bestimmung eines geeigneten Zeilenabstandes beitragen.

Am Anfang steht die Frage, für welche Textlänge ich einen Zeilenabstand suche. Handelt es sich um eine Überschrift, die maximal drei Zeilen umfasst und insgesamt deutlich größer gesetzt ist als der Rest des Textes? Oder dreht es sich um einen langen Fließtext, der außer einigen Absätzen kaum Binnenstruktur aufweist? Wie breit ist die Spalte, in der sich dieser Text befindet? Auch die verwendete Schriftart spielt eine Rolle.

Trennscharfe Regeln sind gar nicht so einfach zu finden. Der zuverlässigste Faktor ist tatsächlich der gesamte visuelle Eindruck beim kritischen Gestalter. Dennoch haben sich ein paar Faustregeln etabliert, die man durchaus anbringen kann, um eine gewisse Ausgangsbasis zu haben:

Mindestens doppelte Versalhöhe

Betrachten Sie ein großes E oder H, verdoppeln Sie es im Geiste und stapeln sie es über das Original. Wenn die obere Kante des verdoppelten Buchstaben über die Grundlinie der oberen Zeile hinausragt, ist der ZAB aller Wahrscheinlichkeit zu gering. Jedenfalls für längere Texte mit mehr als vier Zeilen.

Kleinere x-Höhen brauchen weniger

Wer Platz sparen möchte, wählt solche Schriftarten, die eine kleine x-Höhe besitzen, bei der also Kleinbuchstaben wie das a oder eben das x im Vergleich zu den Buchstaben mit Oberlänge – also etwa A, E, f oder h – eher niedrig geraten sind. Durch das Mehr an Platz, welches dadurch oberhalb der Kleinbuchstaben entsteht, vergrößert sich rein optisch der Zeilenabstand schon von sich aus, ohne dass man den tatsächlichen Wert verändern muss.

Wie identifiziert man eine geringe x-Höhe? Nun, man sieht sich eine Schrift einfach an und betrachtet die Unterschiede zu anderen Schriften. Ein kleiner Anhaltspunkt: Grundsätzlich sind es meist die etwas historisch angehauchten Serifenschriften wie Garamond oder Palatino, welche geringe x-Höhen besitzen. Schriften aus den letzten 25 Jahren (und die meisten Serifenlosen) haben eine eher größere x-Höhe. Ausnahmen sind natürlich immer und überall zu finden.

Überschriften folgen eigenen Regeln

Es kommt selten vor, dass mehrzeilige Überschriften mit der Faustregel 1,5-fach an Eleganz gewinnen. Man sollte sogar überprüfen, ob nicht tatsächlich der im Font eingebaute Zeilenabstand 1:1 schon gut funktioniert. Grundsätzlich kann man sagen: Je größer der Schriftgrad einer Headline, desto kleiner kann der Zeilenabstand werden. Werte unter 1 sind dabei absolut erlaubt. Und selbst sich berührende Unter- und Oberlängen müssen kein Tabu sein. Aber eben nur, „wenn es besser aussieht“, um ein bekanntes Erik-Spiekermann-Plakat zu zitieren.

Auswirkungen auf korrespondierende Elemente

Bei der Wahl eines Zeilenabstands darf der betreffende Textblock nicht isoliert betrachtet werden! Alle umliegenden Elemente sollten auf den gewählten Zeilenabstand abgestimmt sein und wachsen in der Regel mit. Am einfachsten lässt sich das am Abstand zwischen zwei Textabsätzen betrachten. Dieser sollte proportional mit dem Zeilenabstand zusammenhängen, sonst wirkt der vertikale Rhythmus gestört. Auch das Verhältnis zur Überschrift oder dem Teaser-Abschnitt ist wichtig; hier müssen die Fronten geklärt werden, sonst spielt dem Betrachter das Gesetz der Nähe einen Streich, und er fasst im Kopf Elemente zusammen, die gar nicht zusammen gehören (siehe Abstand & Weißraum). Nicht zuletzt müssen natürlich auch die Zeilenabstände von Texten in einer Marginalspalte oder Sidebar mit dem ZAB der Haupttextspalte harmonieren. Subtile Unterschiede können hier bereits viel kaputt machen.

Fazit

Wenn ich mit den obigen Absätzen ein wenig Verwirrung gestiftet haben sollte, so war das selbstverständlich Absicht. Bei der Wahl des Zeilenabstandes muss der Gestalter zwangsweise ein gutes Auge entwickeln, um Platzbedarf, Lesbarkeit und ein ausgewogenes Gesamtbild unter einen Hut bringen zu können. Die Faustregeln sind lediglich als grobe Anhaltspunkte gedacht und sollen beim Üben helfen. Ich empfehle einen Ausflug zu typecast.com – eine grandiose Spielwiese zum Testen von Schrift- und Layoutfragmenten direkt im Browser.

  1. Früher benutzte man bisweilen noch den Ausdruck Durchschuss, welcher aber nur im Bleisatz wirklich sinnvoll war. Er bezeichnete den zusätzlichen Abstand von der Kegelunterkante einer Textzeile bis zur Kegeloberkante der nächsten Zeile.