Schriftwahl in Zeiten hoher Pixeldichte
Als Merkmale einer besonders bildschirmgerechten Schrift galten bisher Robustheit, eine vereinfachte Formensprache und der Verzicht auf verspielte Details. Bei Mengentexten zwischen 9 und 16 Gerätepixeln blieb einem kaum etwas anderes übrig, wenn die Schrift halbwegs nach etwas aussehen sollte. Dies ist einer der Gründe dafür, dass auch heute noch viele Webdesigner im Fließtext eher auf websichere Systemschriften vertrauen, selbst wenn sie sich für die Überschriften längst spektakuläre Webfonts besorgt haben. Die Kollegen scheuen sich davor, Schriftarten mit komplexen Formen in kleinen Schriftgraden einzusetzen.
Doch sieht die Situation nicht mit den jetzt in Mode kommenden High-PPI-Bildschirmen ganz anders aus? Wenn auf dem neuen MacBook Pro eine Website mit einer 14-Pixel-Georgia daherkommt, werden dort ja physikalisch 28 Pixel in der Höhe verwendet, und in der Breite verdoppelt sich die Darstellungsdichte ebenfalls. Wie wirkt sich diese Vervierfachung der Pixelmenge auf unsere Georgia aus?
Leider nicht besonders gut. Natürlich sind die Linien alle glatt und quasi pixelfrei. Doch die eher langweiligen und wenig überraschenden Kurven der Georgia wurden nicht für diese hohe Auflösung gemacht, und somit wirkt die retinafizierte Georgia – wie alle anderen websicheren Schriften – seltsam blutleer und spannungsarm. Gerade die vereinfachten Formen, welche die websicheren Schriften in kleinen Graden zu gerne genutzten und exzellent lesbaren Standards gemacht haben, werden ihnen nun zum Verhängnis. Dreht man die Rasterdichte rauf, zeigt sich der fehlende Biss!
Doch kann man überhaupt beides haben? Optimale Darstellung auf klassischen Bildschirmen und individuelle, spannende Formgebung für die Retina-Welt? Sicherlich wäre es möglich, mehrere Versionen einer Schrift zu gestalten, die auf den gleichen Proportionen aufbauen, aber unterschiedliches Detailreichtum besitzen. Oder man hofft auf eine verbesserte Darstellungstechnik seitens der Betriebssysteme, die die optimierenden Vereinfachungen für grobe Rasterung automatisch selber vornimmt. Nicht undenkbar wäre es auf jeden Fall, abhängig von der Pixeldichte mit unterschiedlichen Fette-Stufen zu agieren. Da unter hohen Auflösungen konventionelle Webfonts eher zu fett wirken, könnte man versuchen, solchen Systemen eine magerere Variante auszuliefern, falls vorhanden.
Letztlich ist dies eine noch nicht ausreichend erforschte Herausforderung, wird aber – Hand aufs Herz – nur sehr pingeligen Designeraugen auffallen. Behalten Sie einfach im Hinterkopf, dass man zwar freilich jede Vektorschrift beliebig groß skalieren kann, dass aber nur bestimmte Schriften in starker Vergrößerung auch wirklich gut aussehen!
Anmerkung: Naturgemäß war es mir nicht möglich, überzeugende Abbildungen zu dieser Thematik zu erstellen. Zu wenig kann ich über die Darstellungstechnik des Mediums Bescheid wissen, auf dem Sie diese Zeilen lesen. Verbringen Sie einfach ein bisschen Browserlesezeit auf einem iPad 3/4 oder einem MacBook Pro mit Retina-Display und bilden Sie sich Ihr eigenes Urteil.