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Was ist denn nun Typografie?

Für dieses Buch sollten eigentlich ein paar Regeln gelten, die bei klassischen Verlagsprodukten – sei es aus dem Design- oder dem Informatik-Umfeld – normalerweise nicht gelten. Beispielsweise möchte ich mich nicht mit trockenen Definitionen oder allzu naheliegendem Grundwissen aufhalten. Deshalb ist dieses erste Kapitel kurz und knackig. Aber eben auch wichtig, denn nicht alle Designschaffenden haben zwingend die gleiche Auffassung davon, was genau unter dem Stichwort Typografie alles zu verstehen sei. Hier mein eigener, profaner Versuch – ohne mich vorher von Wikipedia beeinflusst haben zu lassen:

Typografie ist die Kunst bzw. Lehre der grafischen Gestaltung, die in irgendeiner Form mit Schriftzeichen zusammenhängt.

Man unterscheidet in der Welt der Typografie zwischen unterschiedlichen Disziplinen, die sich sehr schön „von innen nach außen“ aufzählen lassen.

Da wäre zum einen der Schriftentwurf, also das Erschaffen einer Schriftart mit ihren einzelnen Buchstabenformen. Dies wird bisweilen auch als Königsdisziplin des Grafikdesigns angesehen; jeder erfolgreiche Schriftentwerfer genießt in Designerkreisen hohes Ansehen, denn die Idee für eine eigene Schrift, sowie deren Ausgestaltung und Produktion benötigen in der Regel einige Monate oder Jahre harte Arbeit, viel Erfahrung und ganz besonderes Talent. Nicht alle Designer trauen sich da ran, insbesondere wenn es um Schriften geht, die später als gut lesbare Brotschriften1 fungieren sollen.

Dann hätten wir noch die Detailtypografie, in der es darum geht, die einzelnen Buchstaben, Wörter und Satzzeichen so nebeneinander oder untereinander zu arrangieren, dass die Inhalte lesefreundlich und professionell präsentiert werden. Hier wird sehr genau hingeschaut: Muss zwischen der Zahl und dem Prozentzeichen ein ganzes, ein halbes oder ein Dreiviertel-Leerzeichen gesetzt werden? Ist ein Semikolon nach einem fett gesetzten Wort ebenfalls fett? Welche Anführungszeichen setze ich, wenn ich ein englisches Zitat innerhalb eines deutschen Zitats in einem Roman kennzeichnen muss? Die treibende Kraft hinter exzellenter Detailtypografie ist laut Friedrich Forssman2 oftmals die Geheime Sorgfalt: Kunden und Leser werden zwar niemals bewusst erkennen, wie viel Arbeit hinter einem sorgfältig abgesetzten Text steckt, aber es schafft dem Gestalter eben nur dann eine merkliche Befriedigung, wenn alles wirklich perfekt ist.

Vergessen wir zuletzt die Makrotypografie nicht. Dieser Begriff ist zu 80 % deckungsgleich mit Layout, was den meisten Lesern vertraut sein dürfte. Hier spielen sehr viele unterschiedliche Aspekte eine Rolle: Seitenaufteilung in Spalten und Abschnitte, Schriftarten, Schriftgrade, Farben und Auszeichnungen für diverse redaktionelle Ebenen wie Überschriften, Fließtexte, Infokästen, Fußnoten usw. Im Grunde also die Gestaltung und das Arrangement aller typografischen Elemente, ohne dabei jedoch den einzelnen Buchstaben anzusehen. Es geht um Zeilenabstände, Zeilenlängen, Kontraste, aber auch um die Wahl des Papiers und des Druckverfahrens, sowie buchbinderische Fragestellungen.

Wir sehen also schon: Typografie hat natürlich immer noch viel mit Drucktechnik zu tun und schleppt damit ein paar hundert Jahre tradiertes Wissen mit sich herum, welches im Web (Alter: gut 20 Jahre) zu weiten Teilen fast genauso gültig ist wie auf Papier. Grund genug, sich das einmal genauer anzuschauen, diese Sache mit den Bildschirmen und den Buchstaben. Und wie es alles zusammenhängt.

  1. Brotschriften sind solche Schriften, die für lange Texte optimiert sind. Der Begriff stammt von der Berufsgruppe der Setzer, welche früher nach Textmenge bezahlt wurden, und die sich vor allem mit langen Textabschnitten ihre Brötchen bzw. ihr Brot verdienten.
  2. Friedrich Forssman ist Mitautor des hochgradig empfehlenswerten Buches „Detailtypografie“ aus dem Mainzer Hermann-Schmidt-Verlag.