#webtypobuch

Die Rückkehr der Webfonts

Im Herbst 2007 ist schon etwas Bemerkenswertes in Gang gesetzt worden: Das Webkit-Team bei Apple nimmt sich einer seit zehn Jahren real existierenden Technik an und ermöglicht ihr über einen simplen kleinen Kniff den grandios verspäteten Durchbruch. Was haben die Leute um Dave Hyatt gemacht? Einfach ein anderes Fontformat unterstützt. Im Grunde ist es das.

Wir spulen aber erst einmal noch weiter zurück, ins Jahr 1997. Die ersten Browserwars toben, Microsoft ist auf dem besten Wege, an Netscape vorbeizuziehen, wirft den brandneuen Internet Explorer 4 auf den Markt und platziert ihn gegen den bisherigen Platzhirschen Netscape Navigator 4. Beide Browser unterstützen – gemäß CSS-2.0-Standard – die temporäre Verwendung von serverseitig gelagerten Fontdateien, um reichhaltige typografische Gestaltung zu ermöglichen. Denn schließlich geht es mit der Kommerzialisierung des Webs gerade so richtig los, und zeitgemäßes, innovatives Webdesign schreit nach individuellen Schriften!

Doch wieso hat davon eigentlich niemand etwas bemerkt? Waren die damaligen Webdesigner einfach zu sehr mit anderen Dingen überlastet, um sich mit mehr als zehn websicheren Schriften zu beschäftigen? Die Sache ist rückblickend extrem dumm gelaufen, aber sie ist durchaus zu erklären. Denn in CSS 2.0 war zwar die Möglichkeit einer Schriftdarstellung via @font-face vorgesehen, aber es wurde nicht festgelegt, welches Dateiformat dafür verwendet werden sollte. Und so entschied sich Microsoft für Embedded OpenType (EOT), während Netscape sein Glück mit Portable Font Resource (PFR) aus dem TrueDoc-Universum versuchte. Das Problem bei der Geschichte: Schriften existierten zu dieser Zeit in keinem dieser beiden Formate, sondern ausschließlich in TrueType oder PostScript, jeweils in diversen Geschmacksrichtungen.25 Niemand hatte je zuvor von EOT oder PFR gehört. Gerüchtehalber soll Microsoft zwar eine Software angeboten haben, mit der man EOTs herstellen konnte, aber sie war so kompliziert in der Bedienung, dass man es lieber gleich sein ließ.26 Bei Netscape sah die Situation ähnlich aus, außerdem befand sich der Netscape Navigator ein Jahr später sowieso auf dem absteigenden Ast.

Mangels einsetzbarer Schriften schlummerte die Webfont-Technologie also zehn Jahre lang in allen Internet-Explorer-Versionen und kam de facto nie zum Einsatz. Bis eben 2007 die Webkit-Entwickler auf die Idee kamen, man könne doch einfach das inzwischen etablierte und akzeptierte Standardformat OpenType (ohne „Embedded“) mit @font-face zusammenbringen und die entsprechende Funktionalität in die aktuellste Safari-Entwicklerversion implementieren. Der Browser von Apple wäre somit zukünftig in der Lage, beliebige Schriften darzustellen, die per URL verfügbar sind und auf die man bequem im CSS verweisen könnte.

Und genauso ist es passiert: Im März 2008 wurde Safari 3.1 für Mac und Windows herausgegeben und beherrschte von nun an Font-Embedding, wie es damals genannt wurde. Und das mit beliebigen TrueType- oder OpenType-Schriften, die in diesem Zusammenhang auch als Raw Fonts bezeichnet wurden, um sie von den durch den Fleischwolf gedrehten Embedded-OpenType-Schriften abzugrenzen.

Doch was passierte nun? Einmal abgesehen davon, dass innerhalb weniger Jahre die webtypografische Welt weitestgehend umgekrempelt wurde?

Zunächst einmal gab es monatelange Piraterie-Diskussionen. Denn wenn eine Schrift vom Browser eingebunden werden sollte, musste diese auf einem öffentlich zugänglichen Webserver liegen. Durch den entsprechenden Upload einer Schriftdatei wurde der Webdesigner (oder sein Kunde) auf einmal zum Font-Anbieter, und das war in kaum einer Schriftlizenz vorgesehen. Nicht einmal bei kostenlosen Schriften war geregelt, ob die Nutzung per @font-face erlaubt sein könnte; es existierte bisher schlicht keine Notwendigkeit, dies zu regeln.

Erstaunlich flott jedoch, nämlich innerhalb von gut zwei Jahren, einigten sich Schriftschmieden, Schriftverkäufer und Browserhersteller soweit, dass im jetzigen Jahr 2012 folgende organisatorische Meilensteine als gesicherte Basis zu verzeichnen sind:

Neues Font-Format: WOFF

Ein bisschen klingt es so, als habe man aus der Geschichte nicht gelernt. Aber diesmal stehen tatsächlich alle Parteien voll dahinter: Im Jahr 2009 wurde das Web Open Font Format (WOFF) spezifiziert, welches den Webfonts eine technische und lizenzrechtliche Zukunft ermöglichen sollte, ohne auf zum Scheitern verurteilte DRM-Lösungen zu setzen.

WOFF unterscheidet sich technisch kaum von klassischen OpenType-Dateien. Vielmehr packt man einfach einen regulären Raw Font zusammen mit einigen XML-Meta-Informationen in ein ZIP-Archiv und ändert das Datei-Suffix auf .woff – viel mehr ist das tatsächlich nicht. In den Meta-Informationen bringt man lediglich einige Informationen über Autor, Herausgeber und Lizenz unter.

Dass dieses Format technisch nicht in der Lage ist, Piraterie zu verhindern, ist allen Beteiligten klar. Man hat jedoch eingesehen, dass nur eine DRM-freie Lösung ein Gewinn für die typografische Kultur sein kann. Kurz gesagt: Wer Fonts unlizensiert nutzen will, kann dies seit jeher tun, auch wenn er damit illegal handelt. Wenn man aber mit den Webfonts ein neues legales Geschäftsfeld eröffnen möchte, muss dieses attraktiv und einfach zu nutzen sein. WOFF ist dabei der akzeptierte Kompromiss zwischen unveränderten, druckfähigen Raw Fonts und komplett abgeriegelten, DRM-verseuchten Scheinlösungen.

Browserunterstützung

Mit diesen Fakten und einem Dank an caniuse.com/fontface lässt sich sagen, dass dem großflächigen Einsatz von Webfonts technisch kaum etwas im Wege steht, wobei Sie selbstverständlich die Darstellungstechnik der verschiedenen Betriebssysteme und Browser (siehe Kapitel 2) vorher genau studieren und testen sollten!

Wie genau der CSS-Code zum robusten Einbinden von mehreren Fontformaten aussieht, hängt immer ein wenig vom aktuellen Stand der Wissenschaft und der Browserlandschaft ab. Ich vertraue hier auf das Portal FontSquirrel.com, welches derzeit folgenden Code ausliefert, um wirklich alle Browser mitzunehmen, die heute mit Webfonts umzugehen wissen:

@font-face {
    font-family: 'MySuperFont';
    src: url('My_Super_Font.eot');
    src: url('My_Super_Font.eot?#iefix') format('embedded-opentype'),
         url('My_Super_Font.woff') format('woff'),
         url('My_Super_Font.ttf') format('truetype'),
         url('My_Super_Font.svg#MySuperFont') format('svg');
    font-weight: normal;
    font-style: normal;
}

EOT-Demystifizierung

Das oben beschriebene Dilemma mit nicht-existierenden EOT-Fonts und fehlenden komfortablen Konvertierungs-Möglichkeiten ist größtenteils verschwunden. Heute lassen sich über diverse Online-Konverter oder handelsübliche Schrift-Software relativ leicht EOT-Schriften erstellen, die auch von älteren Internet-Explorer-Versionen anstandslos dargestellt werden. Hier hat die Nachfrage tatsächlich zu einer deutlichen Verbesserung des Angebots geführt. Leider müssen wir zumindest den Internet Explorer 8 noch ein paar Jahre lang unterstützen, bis sich die Sache mit Windows XP endgültig in Wohlgefallen aufgelöst hat. Wie Sie sicher wissen, lässt sich unter Windows XP der IE 9 oder gar IE 10 gar nicht erst installieren. Aber das ist eine anderes Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.

Schriftauswahl und Lizenzen

Noch sind leider nicht alle Schriften, die es für den Printbereich gibt, mit einer Webfont-Lizenz ausgestattet. Bei einigen weniger populären und halbvergessenen Schriften ist das auch tatsächlich kaum noch zu erwarten. Das bedeutet, dass solche Fonts zwar technisch in den meisten Browsern verwendbar wären (siehe oben), aber das Embedding schlicht nicht erlaubt ist und im Zweifelsfall auch geahndet werden kann. Lieber nicht ausprobieren!

Generell jedoch arbeiten alle großen und kleinen Schrifthäuser derzeit mit Hochdruck daran, interessante legale Angebote zu etablieren, um einen Großteil ihres Schriftkatalogs auch für den Webeinsatz zu lizensieren. Ob das dann im Einzelfall Miet- oder Kaufmodelle sind, lässt sich nicht pauschal beantworten. Hier befinden sich Anbieter und Kunden noch in einer spannenden Experimentierphase.

  1. Wer im Dschungel der OpenType-Formate das Licht sehen möchte, sollte unbedingt diesen Blogbeitrag von Ralf Herrmann lesen:
    opentype.info/blog/2010/07/31/opentype-myths-explained
  2. Ein langer und schmerzensreicher Erfahrungsbericht: v1.jontangerine.com/log/2008/10/font-face-in-ie-making-web-fonts-work